UNSICHTBAR

DIE GELENKE DES LICHTS AUF DEM GIPFEL DER JUNGFRAU

Dann das Eisen. Die Bohrung. Das Gewicht. Und die Bolzen.

Die Bergführer werden diese Platten auf dem 4158 m hohen Gipfel der Jungfrau in den Fels bohren. Sie werden sechs ... schlanke Figuren über den Rottalsporn und die steilen Schneerücken auf den Gipfel dieses in jeder Hinsicht erhabenen Berges tragen. Per Helikopter werden Dominic Müllers zwei mächtige Wellen des Universums eingeflogen und mit seinen schlanken Wächtern des Unsichtbaren auf dem Gipfel eingelassen.

Alles Wesentliche ist unsichtbar. Das Denken, die Liebe, die Angst, die Begeisterung – und der große Empfang. Das Unsichtbare als solches darzustellen ist Kunst.

Die infamste Kunst wäre es, das Sichtbare unsichtbar zu machen. Unsichtbar zu sein.

Das hat Dominic Müller letztes und vorletztes Jahr begonnen. Er hat die irren Derwische des göttlichen Sonnenaufgangs auf dem Gipfel vom Gemmenalphorn und letztes Jahr am Grat vom Niederhorn versteckt. Das waren Vorübungen.

Jetzt sind sie aus dem Holz geboren. Ich habe sie als erster gestern im Atelier gesehen und fotografiert. Es sind auch die ersten Bilder der Figuren, die nun in den Schneebewegungen der Jungfrau hoch über dem größten Gletscher Europas und mitten im Aletsch-Jungfrau Welterbe beinahe unzugänglich gemacht werden. Es braucht Führende und Seile und Steigeisen und ca. 12 Stunden um im Anblick dieser Figuren selbst jenseitig gespiegelt zu werden.

Von den Nonnen des Klosters Interlaken erhielten die Wengernalp und dann der Berg seinen Namen. Es geht um die Menschwerdung Gottes aus dem Schoß der jungen Frau. Um den Empfang des Absoluten. Des Bedingungslosen. Um den Gottesschreck in der entschwindenden Höhe.

Das Sichtbare ins Unsichtbare so zu bringen, dass alle durch die Bilder von diesem offenbarenden Entzug sehen lernen, dass sie längst noch nicht sehen, was ihr Wesentliches ist. Der Raum, die Begegnung in der Unendlichkeit, die Würde der maßgebenden Höhe, die Gefahr, die Einigung der Täler auf dem Gipfel der himmlischen Lust.

Die Spannung in den Figuren wirkt beinahe unerträglich.

Sie erwarten alle den Flug, das Hinweggetragenwerden. Das Hinauf. Hinauf. Hinauf.

Peter Eicher nach der Begegnung mit Dominic Müller vom 10.Juni 2017 in der Erwartung der hoffentlich gelingenden Fixierung der Gipfelkunst auf der Jungfrau in den nächsten Tagen.


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